Wenn es ums Online-Coaching geht, scheiden sich die Geister: Viele KollegInnen, die versuchen, ihr gewohntes verbales Coaching, eins zu eins ins Digitale zu übersetzen, winken ab: Das Video auf dem Bildschirm ist kein Ersatz für den direkten Kontakt mit den KlientInnen. Blicke seien schwerer zu deuten, Sprechpausen fühlten sich unbehaglicher an. Es fehle das Gefühl von Kontakt, von gemeinsamem Fokus. Und dann seien da ja auch noch die technischen Tücken … Von visuellen Coaches hingegen höre ich solche Klagen seltener. Sie sehen Online Coaching als Erweiterung ihrer Möglichkeiten an und freuen sich über neue Tools, die die Sitzungen interaktiver machen und noch besser auf den Punkt bringen, worum es geht. Das hat mich neugierig gemacht: Wie genau schaffen wir Visual Coaches es, über den Bildschirm Aufmerksamkeit zu wecken und den Fokus zu halten?
Visuals sind Eyecatcher
Da ist erstmal das Bild an sich, das Aufmerksamkeit auf sich zieht. Je nach Thema kann es sich dabei um ein Symbolbild handeln, um ein Diagramm oder auch nur um ein Schlagwort, um das es in der Sitzung gehen soll. Sobald im Coaching ein Bild ins Spiel kommt, ziehen wir etwas Drittes zur Coaching-Dyade hinzu. Auf dieses Dritte können wir uns mit unserer Coachée beziehen und unsere Perspektiven darauf abgleichen, wir haben einen gemeinsamen Fokus. Sobald wir uns vom Thema wegbewegen zeigt ein Blick auf das Bild, dass wir nicht mehr bei der Sache sind und wir können wieder zum gemeinsamen Fokus zurück kehren. Ein Bild auf dem Bildschirm funktioniert also zunächst als Blickfang und dann als „Gedankenmagnet“.
Wenn ich beim Online-Coaching zoom oder Jitsie verwende, hat mein Cochée mit dem Bild also im wahrsten Sinne des Wortes „auf dem Schirm“, worum es in der Sitzung geht. Mein Gesicht ist nur zur Begrüßung und zum Abschied in voller Größe zu sehen. Dadurch ist der visuelle Fokus der Klientin während der Sitzung mehr beim Thema als bei meinen mimischen Reaktionen.
Zwei Sinne fokussieren besser als einer
Doch das Bild steht nicht für sich allein, es bezieht sich immer auf das gesprochene Wort. Wir übersetzen die Sprache ins Bild und das Bild in Sprache und beide Verarbeitungsformen aktivieren sich gegenseitig. Damit lösen wir bei uns selbst und bei unserem Gegenüber ein Feuer von neuronalen Verbindungen aus, wir machen „Licht an“ in den Gehirnen. Wie aus Scheinwerfern beleuchtet dieses Licht das Coachingthema aus verschiedenen Richtungen und stellt es in den Fokus der Betrachtung.
Lösungsmöglichkeiten, die wir jetzt sehen, können wir ins Bild übersetzen und dort festhalten. Zum Beispiel mit einem Kreuz in der Landkarte, mit einem Eintrag auf dem Zeitstrahl oder mit einem Pfeil, der die Bewegung einer Figur im Team symbolisiert. Die Lösung, auf die der Fokus unserer Aufmerksamkeit liegt, gräbt sich nun als Bild ins Gedächtnis und ist dort auch verbal leicht abrufbar.
Fokus mit technischen Tricks
Beim online Coaching können wir außerdem den Fokus des Beratungsgeschehens groß machen – einfach indem wir den Bildausschnitt heranzoomen und in den Mittelpunkt stellen, worum es gerade geht. Während im analogen Coaching der Blick auf den Weiten eines Flipcharts spazieren und verloren gehen kann, können wir im online Coaching steuern, was unser Coachée auf dem Schirm hat. So können wir mit der Vergrößerungsfunktion die Aufmerksamkeit dahin lenken, worüber wir im Gespräch sind.
Natürlich funktioniert nicht jedes Bild als Vertiefung. So wie gesprochene Wörter können auch Bilder ablenken und Verwirrung stiften. Bild und Sprache müssen also von der gleichen Sache sprechen, wenn sie Fokus ins Coaching bringen sollen.
Übrigens war von meinen KlientInnen ein großer Teil anfangs gar nicht so begeistert von der Vorstellung online beraten zu werden. Doch wenn die Verbindung erst einmal steht und die Internetverbindung einigermaßen stabil ist, ist der virtuelle Beratungsraum kein Thema mehr. Meine Klientinnen speichern sich die erarbeiteten Visualisierungen ab, drucken sie aus und arbeiten zwischen den Sitzungen daran weiter, manchmal sprechen sie auch mit dem Partner oder der Freundin über die Bilder und holen sich so Expertise und Unterstützung aus ihrem Umfeld. Für mich als Beraterin ist es in den Folgesitzungen leichter, den Faden wieder aufzunehmen, an die Ergebnisse von früher anzuknüpfen und schnell wieder auf den Punkt zu kommen, an dem es weiter geht.