Meine Sketchnoteschrift nach „Berlin Letters“

Erst hatte ich gar nicht vor, hinzugehen, zu “Berlin letters”. Ich dachte: “Meine Handschrift ist doch ganz ok, auch meine Blockschrift ist lesbar – für meine Sketchnotes reicht das.” Außerdem habe ich weder die Geduld noch die Zeit, mich wochenlang mit einem verschnörkelten Schriftzug zu beschäftigen, denn in den Sketchnotes muss es schnell gehen und ich habe keine Verwendung für Schischi. Wenn ich höre, dass es Menschen gibt, die über Jahre eine neue Schrift entwickeln, die am Ende ziemlich genauso aussieht, wie ein historisches Vorbild, interessiert mich das nur am Rande. Als ich dann aber hörte, wie viele (wirklich gute!) Sketchnoter sich angemeldet hatten, deren Schrift um Klassen besser ist als meine, brachte mich das ins Nachdenken. Eine Sketchnote steht und fällt mit der Schrift. Bessere Schrift – bessere Sketchnote. Und ja, ich sehe, dass es bei mir besser geht. So kam es, dass ich drei Tage lang in die Welt der Bucstaben abgetaucht bin und es mit den Spezialisten zu tun bekam, mit Menschen, für die Buchstaben Wesen mit einem Skelett, Fleisch, Knochen, Gewicht und einem Charakter sind.

Mein “Berlin letters”-Notizbuch ist zwar beinahe voll geworden aber die Sketchnotes sind nicht vorzeigbar, weil ich immerzu nur nach vorne gucken musste und Angst hatte, etwas zu verpassen, wenn ich zeichne.

Am ersten Tag war ich mir noch nicht sicher, ob ich richtig bin. Dann gingen die Vorträge los. Meine Zweifel wichen augeblicklich dem Staunen und sinnlichem Vergnügen. Es war wie ein opulentes visuelles Mahl. Ein Rausch der Farben, Schwünge und Kompositionen. Comictitel aus den 60ern, Ladenschilder aus den 20ern, Flaschenetiketten von heute … Ein unglaublicher Augenschmaus. Und auch wenn mir der Magen abends in den Knien hing – visuell war ich so satt und glücklich wie selten in meinem Leben.

Am zweiten Tag beschloss ich, das Gehirn wieder einzuschalten und zu filtern, um mit der Flut an Bildern, Inspirationen und Impulsen klar zu kommen. Ich stellte mir also die Frage: “Was kann ich mir rausholen, was meine Sketchnoteschrift besser macht? Und zwar ohne, dass ich “meiner Schrift” , der Schreibschrift und der Blockschrift, Gewalt antue?

 

1. Die Schrift muss gut lesbar sein

Okay, das Schrift lesbar sein soll, ist klar, denn das ist ja ihr Zweck: Inhalte zu transportieren. Klingt banal, ist aber gerade bei Sketchnotes gar nicht selbstverständlich. Sketchnotes sind schließlich etwas, was wir erstmal für uns selbst machen und wenn wir sie als Denkhilfe benutzen und wir selbst schon wissen, was gemeint ist, kommt es darauf vielleicht gar nicht so an? Kommt es doch. Spätestens, wenn wir ein paar Tage später, auf unsere Aufzeichnungen zurückkommen und versuchen, daraus klug  zu werden, was dieser komische Kringel am Ende des Wortes bedeuten mag, zeigt sich, dass eine leserliche Schrift echt Zeit spart.

 

In Bezug auf meine eigene Schrift sind meine Baustellen das kleine “e” und das “n”. Das kleine “e” gerät mir oft zu schmal und dann sieht es wie ein “i” aus. Mein “n” ist schnell mit einem “u” zu verwechseln, meist kann man nur aus dem Kontext erschließen, was gemeint ist. Ich habe mir also vorgenommen, diese Buchstaben neu zu lernen und so oft leserlich zu schreiben, bis sie im Muskelgedächtnis angekommen sind.

Nadine Roßa persönlich hat mein Versal-Eszet genehmigt. Es ist seit der Rechtschreibreform Teil unseres Versal-Alphabets – leider haben wir es aber nicht auf der Tastatur.

 

“Gut lesbar” heißt auch: Die Schrift muss unmissverständlich sein. Deshalb habe ich nach Nadine Roßas Vortrag den Großbuchstaben Eszet adoptiert. Was viele nicht wissen: Das Versal-ß (ẞ)ist schon seit der Rechtschreibreform Teil unseres Versal-Alphabets, leider finden wir es nicht auf der Tastatur. Als Sketchnoterin, die ich meine Titel gerne versal, also mit Großbuchstaben schreibe, kann ich jetzt Wörter wie “MAẞE” und “BUẞE” schreiben und keiner denkt ich schreibe über die Massen oder Busse.

 

2. Sketchnoteschrift muss schnell gehen

Wenn ich schnell einen interessanten Gedanken festhalten will muss ich schnell schreiben können, sonst geht er mir durch die Lappen. Schnelligkeit kommt von Übung. Damit eine mittelschnelle Schrift lesbar bleibt und gut aussieht, lohnt es sich, die “Schwachstellen” in der eigenen Schrift aufzuspüren und auszubügeln. Bei mir ist es das kleine “e”, das leicht zu schmal wird und das kleine “n”, das oft wie ein “u” aussieht und nur im Kontext eines Wortes erkennbar wird. Ich habe mir vorgenommen, an diesen beiden Buchstaben zu arbeiten.

 

3. Die Schrift soll auf den Inhalt einstimmen

Die Hauptunterscheidung in Bezug auf Schrift, die ich in meinen Sketchnotes mache, ist die

zwischen Schreibschrift und Blockschrift und das gilt besonders für den Titel einer Sketchnote. Ich denke, hier kann es sich lohnen, Schrift, Farbe, Gewicht (also Dicke) und Charakter des Titels mit Bedacht zu wählen, weil sie uns auf den Inhalt der Sketchnote einstimmt und so viel Erwartung und Assoziation transportieren kann. So ähnlich hat es auf dem Festival der spanische Typedesigner Ivan Castro formuliert, als er die Bedeutung von Comictiteln erklärt hat (cool guy, by the way, lohnt sich zu googlen). Deshalb verwende ich in der Überschrift Schreibschrift, wenn es in der Notiz um eher emotionale Themen geht und Blockschrift, wenn es um sachliche Inhalte geht. Farbe, Umrandung, Schnörkel, Schatten usw. können den Inhalt vertiefen – wenn ich die Zeit dazu habe. Inspirationen dazu nehme ich tonnenweise von Berlin letters mit.

 

4. Die Schrift soll gut aussehen

Klar, wenn die Sketchnote nicht nur zwischen zwei Notizbuchdeckeln vergraben bleiben soll und ich mich mit anderen darüber austauschen will, ist es hilfreich, wenn sie gut aussieht. Man selbst und die anderen haben dann einfach mehr Lust, sich überhaupt damit zu befassen und Aufmerksamkeit dafür aufzubringen. Die Gestaltung der Buchstaben ist bei der Sketchnote ein wesentliches Element, das über den Gesamteindruck entscheidet. Es sind die Feinheiten wie Gewicht (Dicke), Abstände zwischen den Buchstaben, Proportionen und Farbgebung, die den Unterschied machen. Berlin Letters hat meinen Blick dafür geweitet und ich habe viele gelungene Beispiele gesehen.

Das Festival ist zu Ende und ich finde meine Schrift immer noch “ganz okay”. Aber ich sehe  klarer, wo sie besser, genauer, passender werden kann. Insgesamt hat mir das Festival das Gefühl vermittelt, dass meine Schriften etwas Lebendiges, Veränderliches, sind, etwas, womit ich experimentieren, mich inspirieren lassen kann. Ich kann die Baustellen benennen und  ich habe eine Idee, was ich ausprobieren und ändern kann. Mal gespannt, wohin das führt.

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