Die Heldenreise in Beratung und Coaching

„Ich sitze fest“, „ich tappe im Nebel“, „ich habe mich verrannt“ – so oder ähnlich hört es sich an, wenn sich Menschen in beruflichen Übergangssituationen an uns wenden. Alle diese Sätze sprechen in Bildern, sind Metaphern, die eine Vorstellung davon vermitteln, wie unsere Gegenüber ihre Situation wahrnehmen, wie sie sich fühlen und sogar davon, wie sie sich vermutlich verhalten. Dieser Beitrag will zeigen, dass diese Metaphern nicht nur helfen, zu verstehen, wie KlientInnen ihre Situation erleben, sondern auch, wie sie als Beratungs- und Interventionsinstrument genutzt werden können. Die Heldenreise-Metapher kann uns als BeraterInnen und Coaches als eine Art Landkarte dienen (siehe Abb.1) und so zu Reiseführern im beruflichen Übergang machen. In dieser Landkarte sind die einzelnen Phasen des beruflichen Übergangs zu einem leicht merkbaren Ganzen, einer klassischen Heldenreise-Geschichte zusammengefasst. Das macht es uns leichter, uns im Prozess zu orientieren und die passenden Interventionen und Instrumente für die jeweils anstehende Aufgabe abzuleiten.

Angeregt werden diese Überlegungen von Dennis Mocigemba, der in seiner Keynote auf der Jahrestagung 2023 des Deutschen Verbandes für Bildungs- und Berufsberatung „Die Kompetenzentwicklung als Heldenreise“ vorgestellt hat. Im Folgenden möchte ich einen Schritt weitergehen und ausbuchstabieren, wie die einzelnen Phasen konkret in Beratungshandeln übersetzt werden können, um die Kompetenzentwicklung und das berufliche Vorankommen zu unterstützen. Es soll aber auch beleuchtet werden, wo die Grenzen und Fallen der Metapher liegen, wo der Vergleich hinkt.

Die Heldenreise ist ein archetypisches Grundkonzept von Geschichten, das der amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell (1904-1987) beschrieben hat und das später von Autoren verschiedener Hintergründe aufgegriffen wurde – zum Beispiel für die Entwicklung von Romanen, Filmen und Videospielen, aber auch für therapeutische Zwecke. Weil diese Grundstruktur von Geschichten, die sich Menschen seit langer Zeit erzählen, gut eignet, Erwartungen und Spannung aufzubauen, hat Christopher Vogler daraus eine praktische Anleitung für das Schreiben von Drehbüchern entwickelt. Wie können wir uns nun diese archetypische Struktur für den Beratungskontext im beruflichen Übergang zunutze machen? Um die Heldenreise für den Beratungskontext im beruflichen Übergang anzuwenden, werde ich sie mit dem erfahrungsbasierten Modell der „Sieben Schritte im beruflichen Übergang“ zusammenbringen. Es handelt sich dabei um eine Struktur, in die wir bei Frau und Beruf e.V. einzelne Beratungsinstrumente und Interventionen einordnen. Welche Abschnitte der Heldenreise mit den „Sieben Schritten“ zusammengefasst sind, ist der jeweiligen Überschrift zu entnehmen:  

1.   Zurückblicken und Abschied nehmen

In diesem Schritt wird die “Gewohnte Welt” der Heldenreise mit  dem Schritt “Abschied und Bilanz” des Sieben-Schritte-Konzeptes zusammengefasst

Wie die meisten Geschichten starten auch die Geschichten von beruflichen Veränderungen dort, wo „die alte Welt“ endet. Wir lernen den Helden/die Heldin kennen, erfahren, wo er/sie herkommt und was ihn/sie antreibt.

Auch die berufliche Übergangsberatung startet mit einem „Blick zurück”. Zu Beginn des Beratungsprozesses lernen wir unsere KlientInnen kennen, erfahren, was sie bisher gemacht haben, was sie hinter sich lassen wollen oder müssen und auf welchen Erfahrungen und Kompetenzen sie aufbauen können.

Interventionen und Instrumente: Um die Herkunft und den beruflichen Hintergrund auszuleuchten stehen uns zum Beispiel folgende Möglichkeiten offen:

·       Anliegenklärung mit Hilfe von drei Fragen (Wo stehen Sie? Wo wollen Sie hin? Worauf wollen Sie aufbauen?)

·       Sichtung und Besprechung des Lebenslaufes

·       Systematische Einordnung der bisherigen beruflichen Stationen nach subjektiven Kriterien (Passung, Zufriedenheit, Selbstwirksamkeit, Erfolgserlebnissen)

·       Kompetenzbilanzierung

·       Storytelling und Auswertung von Erfolgsgeschichten

Was bringt die Metapher der „Gewohnten Welt“? Gerade zu Beginn des Beratungsprozesses fühlen sich viele Ratsuchende noch sehr ihrem bisherigen Leben und ihrer beruflichen Vergangenheit verhaftet, sie identifizieren sich mit ihr. Langzeitarbeitslose, deren letztes Arbeitsverhältnis schon Jahre zurückliegt, grübeln häufig über vergangene Misserfolgserlebnisse und schlechte Erfahrungen und verstärken so deren Wirkung. Das gilt auch für Menschen, deren letztes Arbeitsverhältnis mit einem Burnout, einem Boreout oder einem Konflikt geendet hat. Allein die Vorstellung, dass diese bisherige Geschichte etwas ist, was man abschließen und hinter sich lassen kann, kann sich wie eine Befreiung anfühlen. Wenn wir als Beratende die berufliche Vergangenheit als etwas behandeln, was beendet werden kann, steht die Frage im Raum, was denn danach kommen sein kann. Der Beratungsprozess nimmt Fahrt auf.

2.   Hin- und Hergerissensein

In diesem Schritt werden die Heldenreise-Phasen “Ruf des Abenteuers” und “Weigerung” mit dem Sieben-Schritte-Abschnitt “ Den Horizont der beruflichen Möglichkeiten öffnen” zusammengefasst.

Doch die Aussicht, alles hinter sich zu lassen und neue Wege zu gehen, ist für die meisten Helden und Heldinnen höchst ambivalent, nicht nur in Filmen und in Romanen. Einerseits ruft das Abenteuer und die Hoffnung regt sich, dass sich Dinge zum Guten wenden könnten, andererseits könnte die Sache auch schief gehen und es ist vielleicht besser, es gar nicht erst zu versuchen. Es beginnt spannend zu werden.

Auch in der beruflichen Übergangsberatung sind wir mit solchem Hin- und Hergerissensein konfrontiert, insbesondere, wenn es darum geht, den beruflichen Horizont auszuleuchten und die nächsten Schritte erstmal nur zu planen. Nicht selten erleben wir, dass Menschen, die mit ihrem letzten Job unzufrieden waren, sich erneut auf sehr ähnliche Stellen bewerben. Der Wunsch nach Sicherheit, nach Rückkehr in die „Gewohnte Welt“ versperrt dann die Sicht auf neue, bessere Optionen und steht der Entdeckung neuer Möglichkeiten und einer beruflichen Entwicklung im Weg.

Instrumente und Interventionen: Als Beratende können wir eine Außensicht auf die Situation vermitteln, dazu anregen, die verschiedenen Job-Ideen und -Angebote nach eigenen Kriterien zu bewerten und Aktivitäten vorschlagen, die auf eine subjektive Verbesserung der beruflichen Situation zielen. Hier ein paar Beispiele:

·       Sammlung und Beurteilung verschiedener Jobideen, nach eigenen Kriterien

·       Durchspielen verschiedener Berufswege – Denken in Alternativen

·       „Probehandeln auf Papier“: Visualisieren mithilfe von visuellen Vorlagen (timeline, Zielscheibe, Wegekarte o.ä.)

·       Wege „mit dem Finger auf der Landkarte“ gehen.

Was bringen die Metaphern „Ruf des Abenteuers“ und „Weigerung“? Jeder berufliche Übergang bietet Chancen zur Entwicklung und Verbesserung, denen sich unsere KlientInnen stellen oder verweigern können. Zu Beginn des Beratungsprozesses können wir als Beratende diesen Horizont der beruflichen Möglichkeiten mit unseren KlientInnen öffnen, ausleuchten und dazu ermuntern, die verschiedenen Möglichkeiten durchzuspielen und sie so in den Bereich des Machbaren zu holen. Dabei können wir die Gründe für die Weigerung und dafür, dem Ruf des Abenteuers zu folgen, direkt ansprechen.

3.   Vorbilder und ExpertInnen treffen

Hier werden die Heldenreise-Abschnitte “Den Mentor treffen” und “Überschreiten der ersten Schwelle” mit dem Sieben-Schritte-Abschnitt “Recherche” zusammengebracht.

Nun ist der Moment gekommen, in dem der Held/die Heldin seinem/ihrem Mentor begegnet. Das kann eine Person sein, die den Reisenden mit den notwendigen Instrumenten oder Waffen ausstattet. Im Märchen werden auch gern Zauberwörter mitgegeben. Vielleicht ist es eine weise Frau, ein Lehrer oder Meister, die wichtige Hinweise für die Reise ausspricht oder eine schräge Gestalt, die vor Gefahren warnt.

Im beruflichen Übergangsprozess liegt es nahe, Beratende oder Coaches mit der Rolle des Mentors gleichzusetzen. Doch im wirklichen Leben können noch ganz andere Personen auftreten und Menschen im beruflichen Übergang mit notwendigem Wissen, Haltungen und Kontakten ausstatten. Das können ehemalige Vorgesetzte sein, alte KollegInnen, Netzwerkkontakte. Oder auch mehr oder weniger kluge Menschen, die Ted-Talks halten oder youtube-Kanäle betreiben. Oft sind es Personen, die den Weg in das neue Berufsfeld selbst schon gegangen sind, die vom Fach sind, die Branche kennen, Tricks verraten und vor Fallstricken warnen können.

Instrumente und Interventionen: Als Beratende sollten wir in dieser Phase alles tun, um unseren KlientInnen Quellen und Kontakte zu vermitteln, die die nötige Informationsgrundlage für eine berufliche Entscheidung liefern. Das können Berufsinformations-Plattformen sein, Weiterbildungsdatenbanken aber auch Know How zum selbständigen Explorieren und Recherchieren. Das, was letztlich Sicherheit und Klarheit vermittelt, sind die Hinweise, Tipps, Erzählungen und Warnungen von Insidern und ExpertInnen. Um an diese heranzukommen und die erste Schwelle in das neue berufliche Terrain zu überschreiten, brauchen Ratsuchende Tipps und Strategien …

·       … wie sie potentiell interessante ArbeitgeberInnen identifizieren können (z.B. über Stellenanzeigen, Hinweise, etc.).

·       … wie sie den Fachaustausch für die berufliche Recherche nutzen  können, also Blogs und Fachliteratur finden, sich auf Veranstaltungen (Messen, Tagungen) verhalten, sich ein berufliches Netzwerk aufbauen.

·       … wie sie mit Schlüsselpersonen und ExpertInnen ins Gespräch kommen und die Gespräche auswerten.

·       … wie sie vor Ort Praxiserfahrungen sammeln, Zugangswege ermitteln und einen Fuß in die Tür bekommen können.

Was bringen die Metaphern des “Mentors” und des „Überschreitens der ersten Schwelle“ für den Beratungskontext? Es gibt wenige Interventionen, die einen beruflichen Übergangsprozess so sehr in Gang und voranbringen können, wie die Begegnung mit Menschen (Mentoren), die von der anvisierten Arbeit sprechen und Einblicke gewähren, die keine noch so gut formulierte Stellenanzeige liefern kann. Auch Lokaltermine, Tage der offenen Tür und Hospitationen, können ein Gefühl dafür vermitteln, dass auch in dem neuen Umfeld nur mit Wasser gekocht wird, und dass es kulturell passt.

Leider werden die Chancen der „Begegnung mit dem Mentor“ in der Praxis des beruflichen Übergangs selten genutzt. Auch hier könnten wir als Beratende Hinweise geben, eventuell Mentorenprogramme vermitteln.

4.   Den Rubikon überschreiten

Der Heldenreise-Abschnitt “Überschreiten der ersten Schwelle” wird mit dem Abschnitt “Fokus setzen” verbunden.

Erst wenn die erste Schwelle überschritten ist und der Held/die Heldin das neue Feld betreten hat, ist er/sie bereit für das neue Abenteuer. Er/sie lässt sich auf die neue Welt ein und stellt sich ihren Herausforderungen. Jetzt geht die Geschichte erst richtig los.

Im beruflichen Übergangsprozess ist dieser Punkt erreicht, wenn eine Person Klarheit darüber hat, wohin die berufliche Reise gehen soll. Dies ist die Voraussetzung dafür, um die nächsten Schritte sinnvoll zu planen, z.B. in Form einer Weiterbildung.

Instrumente und Interventionen: Nicht immer fällt es leicht, zu entscheiden, welcher Job-Idee nun der Vorzug gegeben werden soll. Dann können Instrumente zur Entscheidungsfindung helfen:

·       Erstellen einer Entscheidungs-Matrix

·       Pro- und Contra-Listen aufsetzen

·       Entwicklung von Szenarien

·       Sammlung von Fragen, die vor einer Entscheidung beantwortet werden müssen

Was bringt die Metapher „Überschreiten der ersten Schwelle“? Die Antwort auf die Frage, wo eine Person im Beratungsprozess steht, ob sie noch in ihrer alten Berufsidentität denkt und handelt oder sich schon in der nächsten Entwicklungsstufe vorstellen kann, sollte Grundlage für unsere Interventionen sein.

5.   Kräftemessen, Netzwerken, abgrenzen und weiterbilden

Wir bringen die Heldenreise-Abschnitte “Bewährungsproben” und “Verbündete und Feinde” mit dem Sieben-Schritte-Abschnitt “Profilschärfung” zusammen.

Im Zyklus der Heldenreise kommt nun die Zeit der Bewährungsproben. Der Held findet Freunde, macht sich Feinde und erfährt, nach welchen Regeln die neue Welt funktioniert. Schauplatz für diese Szenen ist in vielen Spielfilmen die Kneipe oder der Saloon.

Im Kontext der Jobsuche spielen sich die Bewährungsproben hingegen eher in Weiterbildungen oder beruflichen Netzwerken ab. Hier treffen Jobsuchende auf Menschen, mit denen sie sich fachlich messen können, die sie beruflich voranbringen oder auch abschrecken und herunterziehen. Egal, ob Jobsuchende an Stammtischen, Meetups oder Verbandstreffen teilnehmen, einen Kurs mitmachen oder online verfolgen, was in der Fachwelt los ist: Sie können nun nach Anknüpfungspunkten suchen, herausfinden, mit wem sie gern zusammenarbeiten wollen aber sich auch abgrenzen und so ihre Nische finden. Auf diese Weise beginnen sie, ein neues berufliches Selbstverständnis aufzubauen, anders über ihre berufliche Identität nachzudenken und zu sprechen. Wie kann dieser Prozess in der Beratung unterstützt werden?

In dieser Phase zielt das Beratungshandeln darauf ab, die berufliche Identität zu stärken und das berufliche Profil zu schärfen. Damit die Ratsuchende/ der Ratsuchende ihren/seinen Platz in der Arbeitswelt findet, sollten wir sie/ihn zum fachlichen Austausch und zur Auseinandersetzung ermuntern. So kann sie explizit machen, was ihre/seine besonderen Kompetenzen und Erfahrungen ausmacht.

Instrumente und Interventionen: Hier einige Beispiele, wie das gehen kann:

·       Weiterbildungsberatung

·       Entwicklung eines Tätigkeitsprofils zur Vorbereitung von Arbeitszeugnissen

·       Beratung zum Arbeitszeugnis

·       Bereitstellung von Erfolgsteams zur Einübung beruflichen Netzwerkens

·       Entwicklung einer beruflichen Kurzvorstellung 

Was bringen die Metaphern „Bewährungsproben“ und „Verbündete und Feinde“? Beide Metaphern verbildlichen, was Menschen, die sich beruflich verändern, innerlich durchmachen. Auch wenn sich die „Bewährungsproben“ und die Identifikation von „Freund und Feind“ von außen unsichtbar, ausschließlich im Kopf der betroffenen Person abspielen sollten, so sind sie doch ein wesentlicher Teil des Prozesses. Als Beratende können wir bei der Suche nach Verbündeten behilflich sein, Fragen stellen, Impulse und Feedbacks geben.

6.   Vordringen und überzeugen

“Vordringen zur tiefsten Höhle” in der Heldenreise wird verbunden mit “Angebot machen” im Sieben-Schritte-Konzept

In der Heldenreise dringt die Hauptfigur nun zu einem gefährlichen Ort vor, zur tiefsten Höhle, die zugleich das Ziel ihrer Wünsche ist, sie begibt sich in den Kampf um Leben und Tod. Hier besteht sie die entscheidende Prüfung.

Übertragen auf berufliche Veränderungssituationen geht es nun darum, mit einem Angebot (zum Beispiel einer Bewerbung oder dem Wunsch nach einer Versetzung oder Beförderung) vorzudringen und zu überzeugen. Wer sich schon einmal einem Eignungstest unterzogen, ein Assessmentcenter mitgemacht und sich in Vorstellungsgesprächen den Fragen von Personal- und Abteilungschefs gestellt hat, weiß, wie existenziell sich diese Situationen anfühlen können – insbesondere, wenn es um einen wirklich interessanten und attraktiven Job geht.  Immerhin entscheidet der Ausgang dieser Prüfungen darüber, wo, mit wem und mit welcher Tätigkeit unsere KlientInnen in Zukunft einen Großteil ihrer Lebenszeit verbringen werden, welche berufliche Rolle sie spielen werden und welcher Betrag auf den Kontoauszügen stehen wird.

Interventionen und Instrumente: Als BeraterInnen und Coaches können wir bei der Vorbereitung auf diese Prüfungen eine wichtige Rolle spielen:

·       Unterstützung bei der Erstellung überzeugender Bewerbungsunterlagen

·       Vorbereitung auf das Vorstellungsgespräch (z.B. Rollenspiel)

·       Einüben einer Kurzvorstellung

Was bringen die Metaphern „Vordringen zur tiefsten Höhle“ und „Entscheidende Prüfung“?

Die Heldenreise-Metaphern machen uns als Beratenden klar, was für die Betroffenen subjektiv auf dem Spiel zu stehen scheint. Doch wenn die Prüfungen nicht auf Anhieb bestanden werden, kann es hilfreich sein, daran zu erinnern, dass eine Ablehnung oder eine ausbleibende Zusage noch nicht das Ende vom Lied ist. Dann hilft es, das Drama herauszunehmen und die Situation neu zu framen. Zum Beispiel, als eine Art Generalprobe für die nächste Prüfung.

7.   Aushandeln und Ankommen

Wir kombinieren die letzten Phasen der Heldenreise “Rückweg”, “Auferstehung” und “Rückkehr mit dem Elixier” mit dem Sieben-Schritte-Abschnitt “In Verhandlung gehen”

In klassischen Geschichten und Spielfilmen kommt der Held/ die Heldin nun im dritten Akt an. Die entscheidende Prüfung ist zwar bestanden, doch nun geht es darum, den Schatz in Sicherheit zu bringen und sich in der letzten Schlacht zu schlagen.

Im beruflichen Kontext sind sich unsere KlientInnen grundsätzlich mit den Arbeitgebenden einig geworden, doch nun geht es darum, wichtige und konkrete Feinabstimmungen zu verhandeln – möglichst bevor der Arbeitsvertrag oder die Arbeitsvertragsänderung unterschrieben wird. Wie soll zum Beispiel die Einstufung in die Gehaltstabelle aussehen? Welche Erfahrungen und Kompetenzen werden bei der Gehaltsberechnung anerkannt? Was genau sind die Verantwortlichkeiten, die Aufgaben und Zuständigkeiten? Wie sieht es mit den Möglichkeiten aus, von zuhause aus zu arbeiten? Wer ist ansprechbar bei Fragen? Die letzte Phase der Heldenreise entscheidet auch im beruflichen Kontext darüber, ob die Rückkehr als Sieg oder als Niederlage erlebt wird, ob der Übergang eine Verbesserung oder einen Rückfall bedeutet.

Interventionen und Instrumente: Als Beratende können wir unseren KlientInnen dabei zur Seite stehen, sich über die neue Rolle und die Verantwortlichkeiten klar zu werden und Wünsche und Interessen zu explizieren, wir können dabei unterstützen, Argumente für die Aushandlung zu finden. Insbesondere betrifft dies die

·       Vorbereitung und Beratung von Vertragsverhandlungen

·       Begleitung bei der Einarbeitung

Was bringen die Metaphern „Rückweg“, „Auferstehung“, „Rückkehr mit dem Elixier“?  Im „dritten Akt“ des beruflichen Übergangs entscheidet sich nicht nur, wie die KlientInnen den Abschluss ihrer Reise erleben, sie stellen auch die Weichen für den neuen beruflichen Lebensabschnitt. Deshalb sollten wir uns als Beratende nicht zu früh aus der Begleitung herausziehen, sondern auf die ausstehenden Herausforderungen und Entscheidungen hinweisen und so lange zur Seite stehen, bis der berufliche Übergang wirklich erfolgreich abgeschlossen ist. Was jedoch als „Elixier“ oder Schatz angesehen wird, sollten wir den KlientInnen überlassen. Nicht immer muss das eine Gehaltsverbesserung oder eine höhere Sprosse auf der Karriereleiter sein. Eine berufliche „Auferstehung“ kann auch bedeuten, dass sich die Reisenden nach einer Irrfahrt endlich an einem Arbeitsplatz wiederfinden, der ihren Fähigkeiten, ihren Werten und ihren kulturellen Vorlieben entspricht und an dem sie, so wie sie sind, willkommen sind.

Möglichkeiten und Grenzen der Heldenreise-Metapher für Beratung und Coaching im beruflichen Übergang

Welche Bilder wir verwenden und wie wir die Bilder, die im Beratungsgespräch auftauchen, integrieren oder umdeuten, ist von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der Beratung, denn unser Denken und Sprechen bereitet unser Handeln vor. Wie Lakoff und Johnson in ihrem Werk “Leben in Metaphern” dargelegt haben, ist unser Denken durch Metaphern strukturiert, wir können gar nicht anders als in Bildern zu denken. Die Heldenreise-Metapher bietet im Kontext des beruflichen Übergangs viele Vorzüge: So ordnet sie die eingangs erwähnten Aussagen „ich sitze fest“, „ich tappe im Nebel“, „ich habe mich verrannt“ in einen sinnhaften Gesamtprozess, eben in die Heldenreise, ein. Die derzeitige, verlorene, verirrte, festgefahrene Situation kann so als eine vorübergehende Phase gesehen und der Blick auf ein mögliches, wünschbares glückliches Ende geöffnet werden. Was vorher vielleicht als Scheitern oder Hilflosigkeit wahrgenommen wurde, kann jetzt zur Zwischenstation, zur Herausforderung, ja zum Abenteuer umgedeutet werden. Die Identifikation mit einer Heldenfigur erkennt an, dass der Übergang nicht immer leicht ist, dass er mit Schwierigkeiten verbunden sein kann, dass es dazu gehört, Rückschläge zu erleben, die eigenen Kräfte zu sammeln und sich Verbündete zu suchen. Würden wir uns aber als Beratende allzu eng auf die Erlebnis-Bilder unserer Ratsuchenden beziehen und sie empathisch spiegeln, bestünde die Gefahr, dass wir uns mental mit ihnen im Nebel verirren. 

Doch der Gebrauch der Metapher hat auch seine Tücken. So legt das Bild der Reise die Vorstellung nah, dass ein gelungener beruflicher Übergang mit einem physischen Ortswechsel, sprich, einem Arbeitsplatzwechsel verbunden sein muss. Doch manchmal fängt das berufliche Abenteuer erst dann richtig an, wenn man bleibt und sich den Herausforderungen stellt, zum Beispiel, indem man Führungsverantwortung übernimmt. 

Auch ist nicht jeder berufliche Übergang mit “Heldentaten” verknüpft, es gibt berufliche Übergänge, die einfach und leicht sind und keine “Heldentaten” erfordern – etwa wenn eine unverhoffte Beförderung  oder der passende Traumjob – etwa vom Headhunter – angeboten wird. Dann passt die Metapher der Heldenreise nicht, sie würde am Erleben unserer Ratsuchenden vorbeigehen, sie würden sich wahrscheinlich nicht verstanden fühlen. 

Je nach Lebenssituation kann der Anspruch, in einer Heldenreise zu bestehen, als Überforderung wahrgenommen werden und somit Reaktanz auslösen. Als Beratende sollten wir daher immer gut zuhören, wo sich unsere Gegenüber mental bewegen, um ihnen dort begegnen zu können. Vielleicht treffen wir sie dann in einer Zeitreise, einer kollektiven Reise oder einer anderen Symbolwelt an. Dann sollten wir uns vom Konzept der Heldenreise verabschieden und von dort aus mit ihnen weitergehen.

Quellen

Campbell, J. (1999). Der Heros in tausend Gestalten. Insel-Verlag.

Eybisch-Klimpel, C. (2015). Übergang gelungen: Nach dem Job ist vor dem Job. Wirtschaftspsychologie aktuell (Heft Nr. 4), 52-54.

Eybisch-Klimpel, C., & Witzenrath, G. (2015). Sieben Schritte im beruflichen Übergang [Kartensatz]. Frau und Beruf, Berlin, Selbstverlag.

Lakoff, G., Johnson, M. (2018). Leben in Metaphern (Neunte Auflage). Carl-Auer Verlag GmbH.

Vogler, C. (2018). Die Odyssee der Drehbuchschreiber, Romanautoren und Dramatiker: Mythologische Grundmuster für Schriftsteller. Autorenhaus.

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